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Ansprache Dr. M. Becker / Schulleitung

Sehr geehrte Damen und Herren,

herzlich willkommen zur Prüfungsausstellung von Begogña Villaseca, der wir den Titel „Fragmente“ gegeben haben.

Begogña Villaseca oder Begovi, wie sie sich als Künstlerin nennt, absolvierte die herausforderungsvollen Studienetappen der wfk. Aufgrund der unterschiedlichsten kompositorischen, farblichen, malerisch-technischen sowie philosophisch-künstlerischen Anforderungen kristallisierte sich, offensichtlich zu ihrem eigenen Erstaunen, mit der Zeit eine eigene Handschrift heraus.

Wir möchten Ihnen mit dieser Ausstellung die Möglichkeit bieten, den Erkenntnisweg von Begogña hin zur Leitidee der Fragmentierung nachzuvollziehen. Das Phänomen, dass sich im Zuge der Bearbeitung in sich recht heterogener Aufgabenstellungen des Studienprogramms der Wiesbadener Freien Kunstschule mit der Zeit ein eigenständiger Arbeitsduktus herauskristallisiert, ist außerordentlich erwünscht, aber planen lässt sich dieser Prozess nicht, und dass er sich überhaupt einstellt, dafür gibt es auch keine Garantie. Das, was sich im Zuge dieses Prozesses herauskristallisiert, könnte man als eine Form tiefsitzender Weltsicht verstehen, als einen Keim der Entfaltung eines künstlerischen Habitus. Die Selbstbeobachtung, dass man, egal was man tut, immer wieder zu einer bestimmten Ausdrucksform zurückkehrt, dass man durch sein Tun immer wieder zu einem charakteristischen ästhetischen Erscheinungsbild gelangt, legt den Schluss nahe, dass in uns ein generativer Kern existiert, den man ausgraben und pflegen kann - und offensichtlich durch ein beharrliches und langes und intensives Studium herauskitzeln kann.

Wenn Begogña immer wieder zu dem Phänomen der Fragmentierung gelangt, dann dürften sich intrinsische Interessen für Kräfte vermuten lassen, die zu zufälligen, aber auch planbaren Dekonstruktionen, sprich Fragmentierungen führen.

Wenn sich zum Beispiel die Technik der Faktur, bei der Spachtelmasse ästhetisch auf die Fläche aufgetragen und verarbeitet wird, so formen lässt, dass die entstehenden Furchungen wie durch Wasser evozierte fluviale Rillenerosionen oder Denudationen anmuten, dann sind wir bereits auf der Spur der initialen formenden Kraft, die durch zufälliges Abtragen und Zerstören ästhetische Fragmente erzeugt. Man könnte sagen, es ist bei Begogña anfänglich eine künstlerische Form der Nachahmung natürlicher Erosionsprozesse zu entdecken, aber bereits mit regulierendem Anspruch.

So scheint ohnehin jegliche Maltechnik in ihrem fragmentierenden Potential ausgeschöpft zu werden. Lasurüberlagerungen oder einfache Farbvertreibungen führen bei Begogña immer wieder zu Farb-Form-Segmenten, die in ihrem insularen Schema formenreich variieren.

Eine Segmentierung und Fragmentierung der Realität führt letztlich zu einer Fragmentierung der Wahrnehmung. Der Betrachter wird dabei mit mehreren Herausforderungen konfrontiert. Zum einen wird er aufgefordert, den ästhetischen Genuss des Fragmentierten in sich zuzulassen und zu kultivieren – was in sich widersprüchlich ist, da man normalerweise Zerstörung nicht mit Genuss und Ästhetik assoziieren möchte. Und doch steckt immer eine gehörige Portion Erhabenheit im Prozess und den ästhetischen Folgen von gewaltigen Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüchen oder Lawinen und Bergrutschen. Zum anderen wird der Betrachter aufgefordert, die Spuren der Zerstörung zu rekonstruieren, zerstreute Fragmente gedanklich wieder zusammenzufügen, Deformationen und materielle Abspaltungen auf das ursprünglich Ganze zurückzubeziehen.

Fragmente sind immer Teile eines ursprünglich Ganzen. Zur Rekonstruktion des Ganzen sammelt man die verstreuten Fragmente wieder zusammen, das Ganze selbst jedoch bleibt verloren. Interessant ist, dass in der Kunst Fragmente einen ästhetischen Wert an sich haben. Sie werden regelrecht zu einem Symbol für die Widersprüchlichkeit von Ganzem und Teilen. Was macht wohl den Reiz von zerfallenen oder zum Teil wiederaufgebauten Ruinen aus? In dem Wenigen, im fragmental Übriggebliebenen scheint das Ganze durch, seine ursprüngliche Funktion, seine Bestimmung. Das Fragment erinnert uns an ein früheres Ganzes, dessen Teil es einmal war.

Aus den extrahierten Fragmenten entstehen nunmehr neue Geflechte, Muster, fraktale Strukturen, die sich in ihrer Selbstähnlichkeit maximieren und spielerische Vexierfacetten anklingen lassen, nicht selten mit inkonsistenten räumlichen Effekten, die dem gesamten Gewebe dynamisches Leben einhauchen.

Die Kleinteiligkeit der Facetten führt zudem nicht selten zu einer Begünstigung farbinteraktorischer Prozesse. Dem Spiel der Farben wird dadurch eine fruchtbare Bühne bereitet.

Das Werk von Begogña ist für das Publikum ein anschauliches Beispiel für die künstlerische Genese durch Interesse, Beharrlichkeit, Fleiß, Selbstkritik und kreative Adaption der künstlerischen Grundlagen. Goethe definierte Genie nicht umsonst als die Synergie von Interesse und Fleiß.

Eine Prüfungsausstellung bietet Begogña die Gelegenheit, ihre Werke in Auswahl dem Publikum vorzustellen und in lockerer Runde Fragen zu beantworten. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie sich alle an dieser Runde beteiligen würden. Im Anschluss erfolgt dann, nach kurzer Beratung des Dozentenkollegiums, die Überreichung des Abschlusszeugnisses. Vielen Dank und viel Spaß mit der Ausstellung!

 

 

 

 

 

 

Wolfgang Becker